Georges Braque, Landschaft von l’Estaque, 1907, Öl auf Leinwand, 60,3x72,7 cm ©bpk / The Art In-stitute of Chicago / Art Resource, NY und VG Bild-Kunst, Bonn 2021
Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen würdigt den in Deutschland bislang zu we-
nig beachteten Georges Braque als bahnbrechenden Künstler der französischen
Avantgarde. Die Ausstellung konzentriert sich auf die wichtigsten Jahre seines
Schaffens, auf das besonders spannende und ereignisreiche Frühwerk zwischen
1906 und 1914.
Vor dem Ersten Weltkrieg prägt der junge Georges Braque (1882–1963) mit seinem
Freund Pablo Picasso acht Jahre lang die vielleicht revolutionärste Etappe in der Ge-
schichte der modernen Malerei: den Kubismus. Landschaften und Stillleben sind seine
Spezialmotive. Die Ausstellung zeigt, wie Braque in rasanter Abfolge und auf höchstem Ni-
veau die stilistischen Mittel weiterentwickelt oder neu erfindet. Fauvismus, Vorkubismus,
Analytischer Kubismus, Papier Collés und Synthetischer Kubismus folgen in einzigartiger
Verdichtung aufeinander. Tempo und Intensität der Stilwechsel verblüffen bis heute. Unsere
Ausstellung zeigt am Werk Braques den beispielhaften Weg der modernen Kunst von der
gegenständlichen zur abstrahierten Wirklichkeitswiedergabe. Rund 60 Meisterwerke aus
internationalen Museen, Privatsammlungen und den Beständen der Kunstsammlung Nord-
rhein-Westfalen werden zusammengetragen und in einer maßgeschneiderten Architektur
im K20 präsentiert.
Die Dynamik des Sehens
Die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg bringen in Westeuropa bahnbrechende Erfindungen,
neue Denkweisen und Philosophien und die faszinierende Beschleunigung des Alltags her-
vor. Dort liegt der Ursprung unseres modernen, medialen Zeitalters, mit dem sich auch die
räumlichen und zeitlichen Wahrnehmungsweisen völlig verändern. So eröffnen Automobile,
Flugzeuge und Röntgenbilder neue Blickwinkel und dynamische Perspektiven auf die Welt.
Das immer populärer werdende Kino mit seinen überraschenden bildtechnischen Möglich-
keiten erweitert den Wahrnehmungshorizont und wird zur Inspiration der malenden Avant-
garde. In der Werkgeschichte des jungen Braque, der ein begeisterter Kinogänger ist und
sich von den neuen Techniken des Films anregen lässt, erscheinen die Ereignisse der Zeit
wie in einem Brennglas fokussiert.
Die Ausstellung folgt dieser Faszination und verortet Braques künstlerische Phasen in den
historischen Kontext. Filme und dokumentarische Materialien werden in die Ausstellung mit
einbezogen, um den Zusammenhang zwischen der Dynamisierung des Alltags und der äs-
thetischen Formentwicklung in der bildenden Kunst erfahrbar werden zu lassen, aber auch
um die Diskrepanz zwischen den visuellen Neuerungen der Vorkriegszeit und der medialen
Bilderflut, in der wir heute leben, zu begreifen.
Georges Braque, Les Arbres / Die Bäume, 1908, 73 x 60 cm, Öl auf Leinwand, Statens Museum for Kunst, København © VG Bild-Kunst, Bonn 2021
Der Patron der Moderne
Von Braque gibt es keine theoretischen Abhandlungen, kaum Schriftverkehr mit gleichge-
sinnten Künstlern. Wer war Georges Braque? Was macht ihn einzigartig innerhalb der
Avantgarde am Pariser Montmartre? Braque war radikal im malerischen Ausdruck, stets im
Zentrum der Ereignisse. Doch anders als seinen Freund Picasso, den virtuosen, tempera-
mentvollen und sprunghaften Spanier, schildern seine Zeitgenossen den jungen Braque als
bedächtig, verlässlich und von großer Intensität. Dem äußerst innovativen, aber „ruhigen,
langsam arbeitenden Normannen“ wird in Kunst-und Sammlerkreisen Vertrauen ge-
schenkt. Für Guillaume Apollinaire war Braque sogar der „Patron“ der modernen Kunst!
Der Freund und Dichter wies ihm diese sicherlich zwiespältige Rolle bereits 1912 zu. Für
ihn war Braque der „Schutzheilige“, der „Prüfstein“ des Kubismus, und er sollte es bis zum
Lebensende bleiben. Selbst viele Jahrzehnte späterbekräftigt der renommierte deutsche
Kunsthistoriker Gottfried Sello nach dem Tod Braques im Jahr 1963 diese Sichtweise: „Für
Frankreich bedeutet Braque den Garanten künstlerischer Kontinuität. Er hat es fertigge-
bracht, seine Nation `en bloc ́ von der modernen Malerei zu überzeugen.“ Ausstellung und
Katalog versuchen die Liste der Zuschreibungen kritisch zu hinterfragen und damit näher
an den wahren Georges Braque heranzukommen.
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Sammlung und deren wissenschaftliche Erfor-
schung sind Bestandteil unseres gesellschaftlichen Auftrags als Museum. Die Ausstel-
lungsidee wurde aus dem Sammlungsbestand der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
heraus entwickelt, die über vier herausragende Werke von Georges Braque verfügt.
Kuratorin: Susanne Meyer-Büser
Zur Ausstellung erscheint eine umfangreiche Publikation in deutscher und englischer Spra-
che im Prestel Verlag. Sechs namhafte Autor*innen beleuchten die Bedeutung Georges
Braques im Kontext der Klassischen Moderne, verfolgen dessen künstlerische Etappen bis
zum Beginn des Ersten Weltkrieges und untersuchen die fruchtbare wie schwierige
Freundschaft mit dem Ausnahmekünstler Pablo Picasso.
Herausgeber*innen: Susanne Gaensheimer, Susanne Meyer-Büser. Mit Beiträgen von Pe-
ter Kropmanns, Brigitte Léal, Véronique Serrano, Jennifer Wild, Michael F. Zimmermann.
Prestel Verlag, München
Ca. 256Seiten / Preis im Museum: ca. 38,-EURO
zweisprachige Ausgabe (deutsch/englisch)
Der Ausstellungskatalog wird gefördert durch die Ernst von Siemens Kunststiftung.
Biografie –Georges Braque (13. Mai 1882 –31. August 1963)
1882 Geboren in Argenteuil und aufgewachsen in Le Havre (Normandie), Ausbildung zum
Dekorationsmaler.
1897 bis 1899 Studium der Malerei an der École des Beaux-Arts in Le Havre.
1900 Umzug und Studium in Paris. Erste Begegnung mit Henri Matisse und den Fauvisten.
1907 Im Sommer besucht Braque die große Retrospektive des Malers Paul Cézanne im
Salon d‘Automne, das Studium seiner Werke ist ein Schlüsselerlebnis. Durch den Freund
und Dichter Guillaume Apollinaire und den Kunsthändler Daniel Kahnweiler lernt er im
Herbst 1907 Pablo Picasso kennen. Daraus entsteht eine rund sieben Jahre andauernde
intensive Freundschaft und ein enger künstlerischer Austausch.
Ab 1908 nehmen die Landschaften in Braques Malerei erstmalig geometrische Formen an.
In den folgenden Jahren entwickeln Braque und Picasso den Analytischen Kubismus, die
Papiers Collés und den Synthetischen Kubismus.
1914 Im August wird Braque zum Kriegsdienst eingezogen, damit endet der Austausch der
beiden mental sehr verschiedenen Künstler.
Braque stirbt 1963 und erhält ein Staatsbegräbnis.
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